Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Tagen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.
Das Jahr 1986 stand für den Club im Zeichen befürchteter juristischer Auseinandersetzungen. Am 1. August 1986 trat das zweite Wirtschaftskriminalitätsgesetz in Kraft, welches das Strafgesetzbuch änderte. Von nun an war das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB) ebenso unter Strafe gestellt wie ihr rechtswidriges Ändern (§ 303a StGB) oder die Sabotage von Computern (§ 303b StGB). Vom Club wurde damals befürchtet, dass die Strafrechtsänderungen Auswirkungen auf ihn haben könnten, und dass er von der Polizei als eine kriminelle Vereinigung eingeschätzt werden könnte, die zu Straftaten aufruft oder selbst welche begeht. Um dies zu verhindern, gründete der Club im Frühjahr 1986 einen eingetragenen Verein, der künftig die rechtliche und finanzielle Grundlage für ihr Handeln liefern sollte. In der Datenschleuder wurde die Satzung des Chaos Computer Clubs e. V. abgedruckt. Dort heißt es in der Präambel:
„Der Chaos Computer Club ist eine galaktische Gemeinschaft von Lebewesen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Rasse sowie gesellschaftlicher Stellung, die sich grenzüberschreitend für Informationsfreiheit einsetzt und mit den Auswirkungen von Technologien auf die Gesellschaft sowie das einzelne Lebewesen beschäftigt und das Wissen um diese Entwicklung fördert.“1
Die in der Präambel formulierten Ziele sollten laut der Satzung durch regelmäßige Veranstaltungen, Treffen und Telefonkonferenzen, der Herausgabe der Datenschleuder und Öffentlichkeitsarbeit in allen Medien erreicht werden. Außerdem wollte der Verein seine Ziele durch „Informationsaustausch mit den in der Datenschutzgesetzgebung vorgesehenen Kontrollorganen“2 sowie „Hacken“ und der Beratung seiner Mitglieder in technischen und rechtlichen Fragen erreichen. Die bereits bestehenden Gruppierungen in anderen Städten wurden als „Erfahrungsaustauschkreise“ (Erfa-Kreise) in die Satzung aufgenommen.3
Die Satzung musste jedoch bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Herbst 1986 geändert werden, da das Finanzamt der Auffassung war, das „Hacken“ keine gemeinnützige Tätigkeit sei. Die Mitgliederversammlung beschloss daraufhin, den umstrittenen Punkt mit „Förderung des schöpferisch-kritischen Umgangs mit Technologie“ zu ersetzen und gleichzeitig klarzustellen, was sie unter dem Begriff „Hacken“ verstand.4
Die Vereinsgründung bedeutete auch ein neues Selbstverständnis des Clubs. Er sah sich jetzt verstärkt als ein Forum und Sprachrohr der westdeutschen Hackerszene, der durch seine Bekanntheit Öffentlichkeit herstellen und Schutz vor Strafverfolgung bieten konnte.
„Der Chaos Computer Club gilt in der Öffentlichkeit als eine Art Robin Data, vergleichbar mit Greenpeace, Robin Wood und anderen. Spektakuläre Aktionen, wie beispielsweise der Btx-Coup, […] werden als nachvollziehbare Demonstrationen über Hintergründe im Umgang mit der Technik verstanden. Der CCC hat damit eine aufklärerische Rolle für den bewußten Umgang mit Datenmaschinen übernommen. […] Durch dieses Image in der Öffentlichkeit, hat sich der CCC in den letzten Jahren einen Freiraum erkämpft, in dem unter gewissen Voraussetzungen Hacks möglich sind, die Einzelpersonen in arge Schwierigkeiten bringen würden. […] Gleichzeitig besteht wegen der gesellschaftlichen Aufgabe des CCC die Notwendigkeit, einer Kriminalisierung von Hackern entgegenzuwirken.“5
Die Auseinandersetzung mit der Polizei und die Kriminalisierung der Hackerszene hat den Club Ende der achtziger Jahre auch stark beschäftigt und ihn in die Medien gebracht. Darüber hinaus entwickelte sich der Club in dieser Zeit auch inhaltlich weiter. Während in der Datenschleuder und auf den weiterhin jährlich Ende Dezember in Hamburg-Eidelstedt stattfindenden Chaos Communication Congress Ende 1986 das Thema Computervieren behandelt wurden,6 interessierte sich der Club auch für die Volkszählung, die 1987 schließlich doch durchgeführt wurde.
Der Club berichtet in der Datenschleuder aus einer Studie des Hamburger Informatikprofessors Klaus Brunnenstein, dass auch bei der neu konzipierten Volkszählung eine Re-Anonymisierung möglich sei und die neue Zählung daher auch gegen die Forderung des Bundesverfassungsgerichts verstoße.7 Was dies praktisch bedeuten könne, macht ein weiterer Artikel in der Datenschleuder deutlich. Die von der Bundesregierung beschlossene Datei, in der HIV-Infizierten anonymisiert gespeichert werden sollen, lasse sich beispielsweise auf dem gleichen Weg Re-Anonymisieren und der Regierung dadurch Zugriff auf sehr persönliche Informationen liefern. Dies würde von der Bundesregierung auch gar nicht bestritten werden, sie betone nur, dass eine Re-Anonymisierung verboten und daher nicht zu erwarten sei. Der Autor des Artikels bezweifelt jedoch, dass sich auch der Verfassungsschutz an dieses Verbot halten werde.8
Zur gleichen Zeit wurde in der Datenschleuder auch über den maschinenlesbaren Personalausweis berichtet, der nach einigen Verzögerungen am 1. April 1987 eingeführt wurde.9 Der CCC veröffentlichte zwar auch ein Programm, das die Prüfziffer des Ausweises errechnen kann,10 trat aber ansonsten dem neuen Personalausweis vor allem mit der Forderung nach einer „maschinenlesbaren Regierung“ entgegen. In einer „Analyse über Denkstrukturen und Strategien“11 forderte Jürgen Wieckmann Ende 1987 „offene Netze“, um den Konflikt zwischen Hackern und Sicherheitsbehörden nach dem NASA-Hack nicht weiter eskalieren zu lassen.12
„Es bleibt, will man den Informationskrieg vermeiden, nur die Forderung nach Offenen Netzen. Wo Information frei ist, braucht nichts versteckt zu werden, der Psychokrieg um die Verstecke entfällt, denn wir brauchen niemanden, der in vermeintlichen Verstecken schnüffeln muß. Sicherheit durch absolute Offenheit beinhaltet gleichzeitig die für jede Demokratie notwendige Übersicht über die laufenden Entwicklungen. Freie Daten, lautet die Forderung für die Zukunft – und das ist gemeint, wenn Hacker die maschinenlesbare Regierung fordern.“13
Bereits in der Studie für die Bundestagsfraktion der Grünen hatte der CCC gefordert, die Haushaltsdaten künftig maschinenlesbar zu veröffentlichen, um sie mit Hilfe von Computern besser prüfen zu können. Diese Forderung wurde hier zu einer umfangreichen Transparenz erweitert. Die Forderung nach einer maschinenlesbaren Regierung bedeutete, dass dem Staat das Recht auf Geheimnisse abgesprochen wird. Nicht der Bürger soll sich durch den Computer gegenüber dem Staat entblößen, sondern der Staat gegenüber seinen Bürgern.
Auf dem Congress Ende 1987 wurde die Forderung nach der maschinenlesbaren Regierung noch weiter präzisiert. In dem Bericht zum Congress schrieb die taz:
„Der CCC forderte auf dem Computer-Congress dann auch die „maschinenlesbare Regierung“ anstelle von blinden BKA-Aktionen. Reinhard Schrutzke[sic!]: ›Wissenschaftliche Netze und alle Rechnersysteme, auf denen keine personenbezogenen Daten gespeichert werden, sollen geöffnet werden.‹ Stefen[sic!] Wernéry: ›Beispiel wäre der freie Abruf alle Strahlen- und Umweltdaten über Bildschirmtext (BTX), daß der Bürger in der Lage ist, selbst zu kontrollieren, welcher Dreck bei ihm in der Luft hängt.‹“14
Die Kommunikation der mittlerweile in ganz Deutschland verstreuten Clubmitglieder lief weiter über Mailboxen, in die nach wie vor viele Hoffnungen gesetzt wurden. Allerdings wurde in der Datenschleuder beklagt, dass Mailboxen noch nicht für breitere Kreise der Bevölkerung zugänglich seien und momentan nur für Geschäftsleute und Computerfans interessant seien, obwohl sie ein großes Potenzial hätten.
„Mailboxen könnten preiswerte und top-aktuelle Stadt- und Stadtteilzeitschriften herausgeben. Sie könnten Forum für Bürgerinitiativen, Parteien, Vereine aller Art sein. Sie könnten Anzeigenblätter ersetzen oder ergänzen. Mailboxen wären das ideale Diskussions- und Informationsforum für alle nur erdenkliche Themen.“15
Anstatt dieses Potenzial zu fördern, würde die Bundespost jedoch gegen private Mailboxbetreiber mit der Begründung vorgehen, dass diese sich nicht an das Fernmeldeanlagengesetz hielten. Beim Betrieb von Mailboxen wurden oft nicht zugelassene Modems oder einen Akustikkoppler mit einer mechanischen Zusatzeinrichtung verwendeten, die automatisch die Telefongabel bediente, während der Telefonhörer im Koppler blieb, was ebenfalls von der Bundespost nicht zugelassen war.16
Der Club selbst war seit 1986 besonders auf der C.L.I.N.C.H.-Mailbox des Clubmitglieds Reinhard Schrutzki aktiv, die eine Zeit lang so etwas wie die offizielle Mailbox des Clubs war, über die die Arbeit des Vorstandes und die Redaktion der Datenschleuder koordiniert wurden.17
Als gelungenes Beispiel, wie eine alternative Nutzung von Computern aussehen konnte, wurde auf dem Chaos Communication Congress Ende 1986 über das Vorgehen der Bayrischen Hackerpost, einer CCC-nahen Gruppe aus Bayern, diskutiert.18 Diese hätte nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl im Frühjahr 1986 Messdaten und Hintergrundinformationen über radioaktive Strahlungswerte mit Hilfe von Mailboxen verteilt, und damit unabhängig und schneller als Regierungen oder die Presse Aufklärung betrieben. Derzeit würde etwa die C.L.I.N.C.H-Mailbox von der Redaktion des „Genethischen Informationsdienstes“ genutzt, um Informationen auszutauschen. Von Wau Holland sei in der Diskussion aber auch kritisiert worden, dass sich durch die Schnelligkeit und den beschränkten Nutzerkreis von Mailboxen neue Informationseliten herausbilden würden, außerdem würden Mailboxen zu einer “Informationsüberflutung sowie Beschleunigung, Verflachung und Ver-Rechtlichung zwischenmenschlicher Beziehungen“19 führen. Auch müsse man sich immer über die möglichen Konsequenzen von verbreiteten Informationen Gedanken machen.20
In der gleichen Diskussion wurde auch erneut gefordert, die Praxis der Videoläden und Medienwerkstätten der 70er Jahre auch auf den Computer zu übertragen.
“Aufgabe dieser Computerläden sei unter anderem, anwenderorientiertes Wissen zu vermitteln und Interessenten anhand referierbarer Projekte dazu zu befähigen, das Medium zur Umsetzung eigener Interessen sachgerecht einschätzen zu können. Darüber hinaus gelte es, das Wissen über Informationsverbreitung und Informationsbeschaffung als kulturelle und politische Aufgabe zu begreifen. Die Computerläden hätten vor allem die Aufgabe, inhaltliche Arbeit bestehender Gruppen durch Computertechnik zu stärken und dabei auch die medienspezifische Eigenheiten des Computers im positiven Sinne zu nutzen.“21
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