„Wargames“ – Wie die westdeutschen Medien 1983 die Hacker entdeckten

Der folgende Text ist ein Auszug aus meiner geschichtswissenschaftlichen Masterarbeit mit dem Thema “Ursprünge und Entwicklung des Chaos Computer Clubs in den 1980er Jahren” (PDF|ePub). Weitere Auszüge folgen in den nächsten Wochen. Alle bereits veröffentlichten Teile sind hier zu finden.

Im Herbst des Jahres 1983 kam der amerikanische Spielfilm „Wargames – Kriegsspiele“1 in die westdeutschen Kinos. In dem Film manipuliert der jugendliche Protagonist David mithilfe seines Heimcomputers und eines Akustikkopplers nicht nur Noten auf dem Schulcomputer, sondern er findet auch zufällig einen Zugang zu einem Militärcomputer. In dem Glauben, es handele sich um ein Computerspiel, startet er dort eine Simulation, die vom Militär für einen sowjetischen Angriff gehalten wird. Erst im letzten Moment wird der Irrtum erkannt und der Gegenschlag abgebrochen. Im weiteren Verlauf des Films muss sich David dann mit allerlei technischen Tricks gegen FBI und Militär zu Wehr setzen sowie das Computersystem von der Sinnlosigkeit eines Nuklearkrieges überzeugen.

Mit dem Film wurde die Debatte über Hacker, die in den USA spätestens seit dem Sommer 1983 geführt wurde auch von den westdeutschen Medien aufgenommen. Bereits im Frühjahr hatte DER SPIEGEL einen Artikel über „umherschweifend[e] Hack-Rebell[en]“2 veröffentlicht, in dem Hacker als „Computer-Besessene“ vorgestellt worden, „die in dem rechnervernetzten Amerika ein elektronisches Spiel ohne Grenzen treiben“3. Es handele sich um „eine Gruppe manischer Computer-Fans, die stunden- oder tagelang vor der Eingabetaste hocken und Fragen oder Befehle hinein›hacken‹ – kaum daß sie sich Zeit zum Essen und zum Schlafen nehmen“4. Während die guten Hacker nur wie Touristen in fremden Datenbeständen unterwegs seien, würden die bösen, die als Crasher bezeichnet werden, auch zum Vandalismus greifen. Beide Gruppen würden nicht gegeneinander kämpfen, sondern sich „gemeinsam in den Rechnernetzen [tummeln] – beide Gruppen betrachten sich als Opfer eines als ungerecht empfundenen Systems.“5 Während einige Hacker mit ihren meist überragenden Fähigkeiten Karriere an Universitäten oder in der Wirtschaft machen würden, lebten andere ihre Frustration über vergebliche Job- oder Studienplatzsuche in fremden Computern aus. In Untergrundzeitschriften wie dem „Tap Newsletter“ würde sich die Szene austauschen und über gefundene Sicherheitslücken berichten.6

Nachdem Wargames im Oktober in die westdeutschen Kinos gekommen war, verstärkte DER SPIEGEL seine Berichterstattung über das Phänomen Hacker. Schon in der Rezension des Films wurden Hacker als „amerikanische Modehelden“ charakterisiert, „die aus Sport die Computer einer Großbank, eines Krebsforschungszentrums und des Atomlabors Los Alamos anzapfen“7. Sie seien „Helden, weil sie als Sieger über die heimliche Angst vor den Computer erscheinen“8. Der Protagonist des Films David sei der „endgültige ›Hacker‹-Held […] in dem sich jeder Schüler wiedererkennt: etwas einsam, etwas unsicher, in der Schule mau, zu Hause Frust – seine stillen Erfolge feiert er in seiner Bude am Kleincomputer.“9

Zwei Ausgaben später wurden die Leser des SPIEGELs detailliert über das Treiben dieser neuen amerikanischen „Helden“ und der Reaktionen des FBIs aufgeklärt, welches mittlerweile in Großrazzien gegen Jugendliche vorgehe, „die per Heimcomputer in geheime Datenbanken ›einbrechen‹“10. Die meisten Hacker würden ihr Handeln als „intellektuelles Spiel, zur Schärfung des eigenen Computer-Verstandes, betrachten“11. Die amerikanische Gesellschaft würde das Herumspielen mit fremden Computern jedoch nicht länger verharmlosen, da sie neben wirtschaftlichen Schäden auch um ihre Sicherheit fürchten, wie der Film Wargames zeigen würde.12

Im Anschluss an seine Reise zur ITU-Messe in Genf war Richard Cheshire beim SPIEGEL zu Gast und wurde zum Film Wargames und seinen Erfahrungen als Hacker befragt. Laut Cheshire würden einige der im Film gezeigten Techniken funktionieren, andere seien jedoch nur der Fantasie der Drehbuchschreiber entsprungen. Hacker würden sich ganz klar von Kriminellen abgrenzen, da es ihnen nicht um Geld ginge, sondern: „Die Herausforderung lautet: Ich nehme mir diesen einen Computer, und ich “zwinge“ ihn, das zu tun, was ich will.“13 Bei fremden Computern sei der besondere Reiz: „[D]u darfst es eigentlich nicht. Aber wichtiger noch: Die Leute glauben nicht, daß du es fertigbringst. Da liegt die Herausforderung.“14 Die TAP halte sich streng an die Gesetze, und schreiben nur, „was die Kids nicht tun sollen, und zwar ganz detailliert. ›Ihr sollt “nicht“ einen 2,4-Kilo-Ohm Widerstand parallel schalten mit einem 0,3-Mikrofarad-Kondensator und es in dieser Form an die Telephonleitung anschließen. Das wäre nicht erlaubt.‹“15 Auf die Frage, was Hacker eigentlich für Typen seinen, antwortet er:

„Man muß schon ein bißchen helle sein, um die Herausforderung zu spüren, die von so einem Computer ausgeht. Den Computer kümmert es nicht, wie du angezogen bist und ob du lange Haare hast. Es gibt viele Computer-Kids, die so wirken wie die Hippies in den sechziger Jahren. Sie lernen auch frühzeitig, ein bißchen anders zu denken, mehr in logischen Bahnen, Schritt für Schritt, so wie es nötig ist, wenn man ein Programm schreibt.“16

Weiterführende Links:

Show 16 footnotes

  1. Vgl. Wargames – Kriegsspiele. Regie John Badham. USA 1983.
  2. Schweifende Rebellen. In: DER SPIEGEL 21/1983, S. 182-185, hier S. 185.
  3. Schweifende Rebellen, S. 182.
  4. Schweifende Rebellen, S. 182.
  5. Schweifende Rebellen, S. 182.
  6. Vgl. Schweifende Rebellen, S. 185.
  7. Urs Jenny: Schiffe versenken. Rezension zu „War Games/Kriegsspiele“. In: DER SPIEGEL 40/1983, S. 283f, hier S. 284.
  8. Urs Jenny: Schiffe versenken, S. 284.
  9. Urs Jenny: Schiffe versenken, S. 284.
  10. Fliegender Korsar. In: DER SPIEGEL 43/1983, S. 258-263, hier S. 258.
  11. Fliegender Korsar, S. 263.
  12. Vgl. Fliegender Korsar, S. 263.
  13. Richard Cheshire: „Zack, bin ich drin in dem System“. SPIEGEL-Gespräch mit dem Computer-Experten Richard Cheshire über seine Erfahrungen als „Hacker“. In: DER SPIEGEL 46/1983, S.222-233, hier S. 231. Hervorhebung im Original.
  14. Cheshire: „Zack, bin ich drin in dem System“, S. 232.
  15. Cheshire: „Zack, bin ich drin in dem System“, S. 225. Hervorhebung im Original.
  16. Cheshire: „Zack, bin ich drin in dem System“, S. 233.
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2 Kommentare.

  1. Von 1968 zu 1984. Die Geschichte der TAP. | Stummkonzert - pingback on 17. August 2012 um 18:51

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